Als höflicher Brite nahm sich George Russell einen kurzen Moment Zeit vor seiner Antwort – und machte dann dennoch in aller Deutlichkeit klar, wie groß der Frust der Formel-1-Piloten über den Präsidenten des Motorsport-Weltverbandes ist. «Es gibt einige Fahrer, die die Nase voll haben von der Situation und es scheint zu einem gewissen Grad nur in die falsche Richtung zu gehen», sagte der Mercedes-Fahrer bei seinem ersten Pflichttermin vor dem Grand Prix in Las Vegas in Richtung von Fia-Präsident Mohammed Ben Sulayem. Fast die Hälfte seiner Redezeit bei der Pressekonferenz sprach Russell nicht über das anstehende Nachtspektakel in der Glücksspielmetropole, sondern über den Mann, der im Fahrerlager, wenn überhaupt, nur wenige Freunde hat. Es brodelt.
Denn ausgerechnet vor dem Rennen, in dem Max Verstappen zum vierten Mal in Serie den WM-Titel gewinnen kann, hat der Weltverband den Renndirektor ausgetauscht. Der deutsche Niels Wittich ist weg, Rui Marques muss für die drei letzten Grand Prix der Saison übernehmen. «Das ist nicht ideal, vor allem so kurz vor dem Ende der Saison», sagte der zukünftige Audi-Fahrer Nico Hülkenberg. «Ich denke, er hat einen guten Job gemacht, er war geradeaus mit uns. Ich kenne die Hintergründe nicht, die Gründe. Für die meisten im Fahrerlager war das eine Überraschung.»
Genau das beklagte auch Russell. Die unerwartete und unangekündigte Trennung von Wittich sei ein «Paradebeispiel dafür, dass wir eben nicht eingebunden sind in diese Gespräche», sagte der 26-jährige Brite, der als Führungskraft der Fahrervereinigung gerne in einem konstruktiven Austausch mit Ben Sulayem stehen würde. Ein Treffen sei zwar nicht schwer zu bekommen, «Veränderungen und Versprechen eingelöst zu bekommen, scheint dagegen herausfordernder zu sein. Vielleicht hat die Fia oder der Präsident nicht erkannt, wie ernst es uns ist», meinte Russell.
Haas-Fahrer Kevin Magnussen formulierte es noch etwas drastischer und sehnte sich nach den Zeiten, als der 2019 verstorbene Charlie Whiting noch Herr über Strafen und Ansagen in der Formel 1 war. «Das war ein Gefühl der Gemeinschaft. Jetzt fühlt es sich eher so an wie ein wir gegen die.» Der WM-Zweite Lando Norris sagte zum Abschied von Wittich: «Die Dinge laufen offenbar nicht so rund, wie wir das gerne hätten.»
Dass die Fahrer die Nase voll haben, war spätestens vor zwei Wochen nicht mehr zu ignorieren: Da eröffneten sie extra einen Account bei Instagram, um über diesen Kanal in einem offenen Brief ihren Unmut zu äußern. Ausgangspunkt war eine Pressekonferenz, in der Weltmeister und WM-Spitzenreiter Verstappen das englische F-Wort zur Beschreibung seines Wagens in der Qualifikation in Aserbaidschan benutzt hatte.
«Als wir in das Qualifying gegangen sind, wusste ich sofort, dass das Auto ‚fucked‘ war», hatte er beim nachfolgenden Grand Prix in Singapur gesagt – und wurde prompt zu gemeinnütziger Arbeit verdonnert. Ferraris Charles Leclerc wurde in São Paulo zu einer Geldstrafe von 10.000 Euro – die Hälfte auf Bewährung – wegen Verwendung des F-Wortes verurteilt.
In dem offenen Brief erklärten die Fahrer nun: «Wir fordern den FIA-Präsidenten auf, den Ton zu wahren und auf seine eigene Sprache zu achten, wenn er mit den Fahrern oder über sie spricht, egal ob in der Öffentlichkeit oder woanders. Die Fahrer sind erwachsen. Sie brauchen keine Anweisungen über die Presse, zu Banalitäten wie dem Tragen von Schmuck oder Unterwäsche.» Reagiert hat die Fia auf das Schreiben bislang nicht.
«Ich bin etwas überrascht darüber, vielleicht kommt noch was», sagte Russell. Ihm geht es als Fahrervertreter nicht nur um die Umgangsformen, sondern auch um die Frage, was mit den Geldstrafen passiert. Versprochen hatte die Fia Investitionen in den Basis-Sport – transparente Belege gibt es dafür zum Unmut der Formel-1-Stars keine.
Der Konflikt mit den Fahrern ist nicht der einzige in der noch keine vier Jahre währenden Amtszeit von Ben Sulayem. Für Aufsehen sorgten Fia-Ermittlungen gegen Mercedes-Teamchef Toto Wolff und seine Frau Susie, die die Chefin der Frauen-Rennserie F1 Academy ist, wegen angeblichen Geheimnisverrats im Dezember vergangenen Jahres. Nur zwei Tage nach Bekanntwerden hatte der Weltverband die Sache wieder einstellen müssen. Alle anderen Teams hatten protestiert.
Ben Sulayems Liste der Konfrontations-Manöver ist aber ohnehin länger. Sei es als Fürsprecher des Andretti-Teams gewesen, das in die Formel 1 wollte und will, aber von den kommerziellen Besitzern abgelehnt wurde, oder als jemand, der sich zweifelnd zum Wert der Formel 1 äußerte. Die Juristen der Rennserie wiesen ihn danach darauf hin, dass dies nicht zu seinen Aufgaben gehöre.
Seit 2021 ist der 63 Jahre alte ehemalige Rallye-Pilot Ben Sulayem der höchste Funktionär der Fédération Internationale d’Automobile und will 2025 eigentlich auch wiedergewählt werden. Auf öffentliche Unterstützung der Fahrer sollte er dabei nicht zählen.
Quelle: dpa