Robert Habeck führt die Grünen in den Bundestagswahlkampf. Jetzt ist es auch offiziell: Ein entsprechender Antrag erhielt beim Bundesparteitag in Wiesbaden 96,48 Prozent der Delegierten-Stimmen. «Wir nehmen die Wahl an!», rief Habeck, der im Duo mit Außenministerin Annalena Baerbock kämpft.
Im Antrag wird Habeck als «Kandidat für die Menschen in Deutschland» bezeichnet, der «das Zeug zu einem guten Bundeskanzler» habe. Führende Grüne bezeichnen Habeck als Kanzlerkandidaten. Habeck selbst sagt zu dem Thema, er wolle «eine ehrliche Ansprache». Gegen Habeck stimmten 20 Delegierte (2,6 Prozent). Sieben Delegierte (0,91 Prozent) enthielten sich bei der Abstimmung.
Vor seiner Nominierung bittet Habeck die Delegierten um ihre Unterstützung. Er werbe um das Vertrauen, diese Partei und die Verantwortung weiter tragen zu dürfen, sagt er beim Parteitag in Wiesbaden. «Und wenn es uns ganz weit trägt, dann auch ins Kanzleramt», fügt er hinzu. Ausdrücklich dankt er Baerbock, mit der er sich einst den Parteivorsitz geteilt hatte. An ihre Adresse sagt er: «Es ist ein großes Privileg, dich vor mir, neben mir und hinter mir zu wissen.»
Zuvor hat Baerbock Habeck als «superpragmatisch» gewürdigt. «Ich will genau das: Dich als Kanzler», ruft sie ihm zu. «Keiner kann im Sturm das Ruder so rumreißen wie Robert Habeck und zugleich bei Rückenwind die Segel richtig setzen.» Für den Wahlkampf sagt sie ihm ihre Unterstützung zu.
In seiner rund einstündigen Bewerbungsrede zeichnet der 55-jährige Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister ein Bild von sich als jemand, dem Gleichberechtigung besonders wichtig ist. Als seine Kinder noch klein waren, habe er genauso Windeln gewechselt und Kartoffeln püriert wie seine Frau. So etwas kommt bei Grünen-Parteitagen immer gut an.
Dann zieht Habeck eine Bilanz seiner Regierungszeit. Das Gebäudeenergiegesetz, das seiner Beliebtheit eine tiefe Delle verpasste, schwebe «wie ein Damoklesschwert» über dem Wahlkampf, gibt er zu – betont aber zugleich seine Fähigkeit, aus Fehlern zu lernen.
Die Kandidatur an der Spitze sei für ihn kein Selbstläufer gewesen, erklärt Habeck. Am Ende habe er sich dann aber nach Gesprächen mit Parteifreunden in diesem Sommer entschieden, «jetzt nicht zu kneifen». Zu Medienberichten, wonach er die Partei nach seinen Vorstellungen umgestalten wollte, sagt Habeck in einer Diskussion mit Mitgliedern: «Ich hasse das wie die Pest. Wenn ihr glaubt, dass ich so wäre, dann wählt mich bitte nicht bei der Wahl!»
Habeck argumentiert an gegen die Wahrnehmung seiner Partei als oberlehrerhaft. Er wolle kein Besserwisser sein, der anderen sage, was sie zu denken hätten, sagt er. Zugleich warnt er und vor einer Neuauflage der sogenannten Großen Koalition. «Sie ist der Grund für die Liebesaffäre mit dem Status quo, sie ist der Grund für den Stillstand», sagt er.
Die Koalition von Union und SPD habe Deutschland einst in eine Energie-Abhängigkeit von Russland geführt und lange nicht gesehen oder nicht sehen wollen, was sich in den Jahren vor dem Beginn des Angriffskrieges auf die Ukraine im Februar 2022 angebahnt habe.
Zu den Problemen, die er mit den Grünen in den Mittelpunkt stellen wolle, gehörten die niedrige Erwerbsquote von Müttern und die immer noch zu restriktiven Regeln für ein Bleiberecht arbeitswilliger abgelehnter Asylbewerber, kündigt Habeck an.
Der Bund müsse künftig mehr Möglichkeiten bekommen, um die Länder in der Bildungspolitik finanziell zu unterstützen. Die von den Grünen schon länger geforderte Reform der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse sollte nach Ansicht von Habeck bereits vor der für den 23. Februar geplanten Neuwahl des Bundestages in die Wege geleitet werden.
Habeck verspricht günstige Strompreise und kündigt für den Fall einer erneuten Regierungsbeteiligung der Grünen die Aufnahme von Krediten für dringende Infrastrukturprojekte an. Er sagt: «Ich bin kein großer Fan davon, Schulden zu machen – ich will nur, dass der Job gemacht wird.»
Die mehr als 800 Delegierten quittieren seine rund einstündige Rede mit donnerndem Applaus, vor allem als er über eine stärkere Besteuerung von «Superreichen» und die Schließung von Steuerschlupflöchern spricht.
Der dreitägige Parteitag ist insgesamt geprägt von der Wahl einer neuen Führung, nachdem der bisherige Vorstand um Ricarda Lang und Omid Nouripour Ende September nach drei enttäuschenden Landtagswahlen seinen Rückzug angekündigt hatte. Die beiden neuen Vorsitzenden, Franziska Brantner und Felix Banaszak, betonten angesichts mauer Umfragewerte von 11 bis 12 Prozent die aus ihrer Sicht unverzichtbare Rolle der Grünen als Anwälte von Klimaschutz und sozialer Gerechtigkeit.
Größere inhaltliche Debatten bleiben in Wiesbaden weitgehend aus. Ihr Wahlprogramm wollen die Grünen am 26. Januar bei einem weiteren Parteitag beschließen. Intern hört man, es sei wichtig, sich nicht bei Nischenthemen zu verkämpfen, sondern den Wählern ein Angebot mit einer «großen Idee» zu machen. Klimaschutz, Maßnahmen gegen marode Infrastruktur, Sicherheitsfragen und die Bezahlbarkeit des Alltags sollten dabei im Mittelpunkt stehen.
In Wiesbaden sprechen sich die Delegierten unter anderem dafür aus, Initiativen für ein mögliches AfD-Verbot intensiv zu verfolgen und die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse zu reformieren. Ein Vorschlag der Grünen Jugend, die Schuldenbremse komplett abzuschaffen, findet Samstagnacht keine Mehrheit.
Die Grünen thematisieren außerdem, dass Migration und die Aufnahme von Flüchtlingen in der Bevölkerung teilweise auch Sorgen ausgelöst haben. In einem Antrag, der mit überwältigender Mehrheit beschlossen wurde, heißt es: «Es ist Zeit für eine neue Asyl- und Migrationspolitik, eine die endlich funktioniert, sich Realitäten stellt, die Menschenrechte als Vorteil begreift und die Würde der Menschen in und außerhalb Europas ins Zentrum stellt.»
Bei der Erbschaftsteuer wollen die Grünen ein komplett neues Modell einführen. Ihr Vorschlag sieht einen «Lebensfreibetrag für alle» in Höhe von beispielsweise einer Million Euro vor, statt der bisherigen Freibeträge, die vom Verwandtschaftsverhältnis zwischen Erblasser und Erben abhängen. Oberhalb des Freibetrags solle dann ein linearer Steuersatz von etwa 25 Prozent für alle Vermögensgegenstände gleichermaßen gelten – inklusive Immobilien, Betriebsvermögen und Aktien.
Für Habeck geht es nun in die heiße Wahlkampfphase – und an den Küchentisch. Das war zumindest sein Angebot an die Wählerinnen und Wähler, die er zum informellen Gespräch treffen will.
Quelle: dpa