Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj will die Truppen an der Front im Osten des Landes mit weiteren Waffenlieferungen der Verbündeten stärken. «Das ist eine direkte Abhängigkeit: Je mehr Feuerkraft und je mehr technologische Möglichkeiten unsere Armee hat, desto mehr russisches Angriffspotenzial kann sie vernichten und das Leben unserer Kämpfer schützen», sagte der Staatschef in seiner täglichen Videobotschaft am Abend. Derweil soll in den USA eine ukrainische Regierungsdelegation eingetroffen sein, die laut Medienberichten Gespräche mit dem Team des gewählten Präsidenten Donald Trump führen will.
Der gewöhnlich gut informierte ukrainische Radiosender NV (New Voice) meldete unter Berufung auf diplomatische Quellen, die Delegation bestehe aus Präsidentenbürochef Andrij Jermak, Verteidigungsminister Rustem Umjerow sowie Vizeregierungschefin und Wirtschaftsministerin Julia Swyrydenko. Demnach bemüht sich die Gruppe vor allem um einen Draht zu Trumps designiertem US-Sondergesandten für die Ukraine und Russland, Keith Kellogg.
Die «Ukrajinska Prawda» berichtete weitgehend das Gleiche, allerdings reiste laut dem Internetportal statt Umjerow einer seiner Stellvertreter mit. Nach offiziell unbestätigten Informationen landete der ukrainische Regierungsflieger am Dienstagabend in New York.
Über Reisepläne dieser Art war in der ukrainischen Presse bereits seit längerem spekuliert worden. Denn Selenskyjs Regierung muss befürchten, dass die US-Regierung nach Trumps Amtsantritt im Januar ihre finanzielle und militärische Unterstützung für die Ukraine drastisch zurückfährt. Seit Beginn des russischen Angriffskriegs im Februar 2022 sind die Vereinigten Staaten mit Abstand der größte Einzelunterstützer und Waffenlieferant des osteuropäischen Landes, das bislang vergeblich in die EU und Nato strebt. Trump hat mehrfach angedeutet, dass es mit ihm als Präsident nicht so weitergehen dürfte.
Über zusätzliche Waffenlieferungen werde es detaillierte Gespräche mit den Partnerstaaten geben, sagte Selenskyj. Zudem werde die Rüstungsproduktion im eigenen Land ausgebaut, nicht nur bei weitreichenden Waffen.
Im Dezember erwarte die Ukraine die Ankunft neuer Flugabwehrsysteme. «Es gibt auch gewisse Sachen, die im Januar für unseren Luftschild getan werden könnten», sagte Selenskyj. Bei den Lieferungen dürfe man nicht zögern. «Der Winter ist eine riesige Verlockung für die russischen Terroristen», betonte er mit Blick auf die angelaufene Heizsaison und Russlands wiederkehrende Luftangriffe auf Kraftwerke sowie andere zivile Infrastruktur.
Der ukrainische Außenminister Andrij Sybiha bat bei einem Treffen der Nato-Außenminister in Brüssel um weitere Flugabwehrsysteme vom Typ Hawk, Nasams und Iris-T zum Schutz der ukrainischen Energieversorgung. Diese haben Reichweiten zwischen 25 und 40 Kilometern. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach bei seinem Besuch in Kiew am Montag davon, dass noch im Dezember zwei Iris-T-Systeme und andere Flugabwehrwaffen geliefert werden sollten.
Derweil stehen die ukrainischen Truppen an der Front im Osten des Landes stark unter Druck. Im jüngsten Bericht des Generalstabs war vor allem von schweren Kämpfen im Donezker Gebiet an den Abschnitten Pokrowsk und Kurachowe die Rede. Mehrere Dutzend russischer Angriffe seien abgewehrt worden. Die russische Luftwaffe habe Gleitbomben auf die Stadt Myrnohrad und andere Ortschaften abgeworfen.
Ukrainische Militärexperten hatten zuvor russische Gebietsgewinne im Stadtgebiet von Kurachowe und nordwestlich davon bei Stari Terny gemeldet. Das stark befestigte Dorf befand sich am Abend übereinstimmenden Berichten zufolge bereits unter russischer Kontrolle. Offiziell wurde das russische Vordringen nicht bestätigt. Von unabhängiger Seite lassen sich die Angaben beider Kriegsparteien ohnehin kaum überprüfen.
Gefechte zwischen russischen und ukrainischen Truppen gab es dem Generalstab zufolge auch an anderen Frontabschnitten. Hervorgehoben wurden Kämpfe im westlichen Teil des Donezker Gebiets um die Siedlung Welyka Nowosilka und in der Region Charkiw bei Kupjansk. Laut ukrainischen Militärbeobachtern gelang es den Verteidigern, über den Fluss Oskil vorgedrungene russische Einheiten wieder zurückzudrängen.
Quelle: dpa