K-Frage in der SPD

Scholz rückt nicht von Kandidatur ab - Widerstand wächst

17. November 2024 , 19:14 Uhr

Schon früh hat Scholz seinen Anspruch auf die erneute SPD-Kanzlerkandidatur formuliert. Der Widerstand in der Partei wächst nun allerdings. Die Entscheidung dürfte in den nächsten zwei Wochen fallen.

Kanzler Olaf Scholz rückt trotz wachsenden Widerstands in der SPD nicht von seinem Anspruch auf die Kanzlerkandidatur seiner Partei bei der vorgezogenen Bundestagswahl ab. «Die SPD und ich, wir sind bereit, in diese Auseinandersetzung zu ziehen, übrigens mit dem Ziel zu gewinnen», sagte Scholz vor dem Abflug zum G20-Gipfel in Brasilien auf die Frage, ob er unter allen Umständen auf der Kanzlerkandidatur bestehen werde.

Kurz vorher hatte der offene Widerstand in der SPD dagegen eine neue Ebene erreicht: Nach etlichen Kommunalpolitikern sprach sich mit Joe Weingarten erstmals ein Bundestagsabgeordneter öffentlich dafür aus, mit dem in den Umfragen weitaus beliebteren Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) an der Spitze in den Wahlkampf zu ziehen. Kurz darauf warb auch sein Fraktionskollege Johannes Arlt aus Mecklenburg-Vorpommern offen für Pistorius.

Der Verteidigungsminister wiederum gab Scholz erneut Rückendeckung: «Wir haben einen wirklich herausragenden Kanzler, der in einer der schwierigsten Zeiten der Republik in einer schwierigen Dreierkonstellation das Ruder in der Hand hatte. Der hat entschieden, dass er weitermachen will und die Partei wird darüber spätestens am 11. Januar entscheiden beim Parteitag», sagte Pistorius am Sonntagabend in der ARD. Er gehe «nach wie vor fest davon aus, dass Olaf Scholz nominiert werden wird».

Eine Kandidatur des Verteidigungsministers wäre ohnehin nicht möglich, ohne dass Scholz einen Rückzieher macht. Der hatte seinen Anspruch bereits im Juli erklärt, als der Bruch der Ampel-Koalition noch weit weg war: «Ich werde als Kanzler antreten, erneut Kanzler zu werden», sagte er damals. Mit seinem Vorhaben, die Ampel-Koalition zu einem Projekt für mehr als eine Wahlperiode zu machen, ist er nun vorzeitig gescheitert. Und aus dem Umfragetief mit Werten deutlich unter 20 Prozent kommt die SPD mit ihm als Kanzler seit Monaten nicht heraus. Der Rückstand zur Union beträgt derzeit 16 bis 18 Prozentpunkte.

Parteivorstand zögert bei Nominierung

Die Parteispitze steht zwar hinter dem Kanzler und hat wiederholt ihre Unterstützung für ihn betont. Auch nach der Entscheidung für eine Neuwahl am 23. Februar hat sie aber zunächst darauf verzichtet, ihn zu nominieren – und damit die Kandidatendebatte mit ermöglicht. Von den Befürwortern eines Kanzlerkandidaten Scholz wurde die Unterstützung für Pistorius bisher in der dritten und vierten Reihe verortet und kleingeredet. Joe Weingarten und Johannes Arlt sind nun die ersten Bundestagsabgeordneten, die sich aus der Deckung wagen. 

«Es ist meine klare Meinung, dass wir mit Boris Pistorius in den Wahlkampf ziehen sollten», sagte Weingarten der «Süddeutschen Zeitung». «Er hat die Tatkraft, die Nähe zu den Menschen und die Fähigkeit, auch in klarem Deutsch zu sagen, was zu tun ist. Und das braucht unser Land jetzt.» Weingarten gehört in der Bundestagsfraktion dem konservativen Seeheimer Kreis an. Sein Fraktionskollege Arlt sagte dem «Tagesspiegel», Pistorius wäre ein hervorragender SPD-Kanzlerkandidat. «Meiner Meinung nach ist er bestens geeignet, unsere Partei in den Wahlkampf zu führen.»

Eine Überlebensfrage für die SPD?

Vor ihm hatte sich bereits eine Reihe von Kommunalpolitikern offen für Pistorius ausgesprochen. Die Stimmung in der Partei spreche klar für einen Wechsel, sagte zuletzt der Vorsitzende des SPD-Unterbezirks Bochum, Serdar Yüksel, dem «Stern». «Wenn Sie in der SPD die Mitglieder befragen würden, wären 80 Prozent für Pistorius.» Ob Scholz noch einmal antrete, sei auch nicht allein seine persönliche Entscheidung. «Es geht jetzt um die Frage, ob die SPD überlebt.»

Die SPD-Spitze versucht seit Tagen vergeblich, gegen die anschwellende Debatte anzureden. «Olaf Scholz ist der Kanzler. Und alle, die in der SPD Verantwortung tragen, haben in den letzten Tagen auch deutlich gemacht, dass wir hinter ihm stehen», sagte Parteichef Lars Klingbeil auch am Wochenende wieder am Rande einer SPD-Veranstaltung in Essen. Für die SPD sei es nun wichtig, «dass wir uns inhaltlich auseinandersetzen mit dem Bundestagswahlkampf, aber nicht über Personal diskutieren».

Im «Handelsblatt» warnte Klingbeil davor, einen Kandidatenwechsel als Erfolgsgarantie zu sehen. Es sei «ein Irrglaube zu meinen, man tauscht nur den einen gegen den anderen aus und schon ist alles rosig, blüht und gedeiht.» Zudem habe Pistorius selbst gesagt, dass er möchte, dass Scholz antrete. «Insofern gibt es eine Klarheit auch zwischen den beiden. Da gibt es kein Wackeln.»

Müntefering: «Selbstverständlich sind Gegenkandidaturen möglich»

Die Appelle zünden aber nicht. Kurz vor der Abreise des Kanzlers zum G20-Gipfel meldete sich in Franz Müntefering der wohl beliebteste noch lebende Ex-Parteichef zu Wort. Der 84-Jährige forderte eine Entscheidung auf einem Parteitag, notfalls in einer Kampfabstimmung: «Selbstverständlich sind Gegenkandidaturen in der eigenen Partei grundsätzlich möglich und kein Zeichen von Ratlosigkeit. Sie sind praktizierte Demokratie», sagte er dem «Tagesspiegel».

Mexiko-Reise abgesagt: «Es ist ja einiges los hier»

In dieser Situation ist Scholz jetzt erst einmal für fast drei Tage weg. Beim Gipfel in Rio de Janeiro wird es um Armutsbekämpfung, die Reform internationaler Institutionen wie UN, IWF und Weltbank, Klimaschutz und natürlich auch um die Kriege in der Ukraine und in Nahost gehen. Am Rande wird der Kanzler bilaterale Gespräche führen, unter anderem mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping.

Eigentlich wollte Scholz am Dienstagabend auch noch weiter nach Mexiko reisen, in das einzige lateinamerikanische G20-Land, das er in seiner knapp dreijährigen Amtszeit noch nicht besucht hat. Dieser Teil der Reise wurde aber «aufgrund der aktuellen Situation» kurzfristig abgesagt, um «frühzeitig wieder hier in Berlin zu sein», wie es in seinem Umfeld hieß. «Es ist ja einiges los hier.»

Entscheidung bis zum 30. November

Scholz landet am Mittwochmorgen wieder in Berlin. Dann dürfte es nur noch eine Frage von Tagen sein, bis die Entscheidung in der K-Frage fällt. Bis zu dem für den 11. Januar geplanten Parteitag wird die Parteiführung nun nicht mehr warten. Am 30. November ist in Berlin eine «Wahlsiegkonferenz» geplant, auf der der Kanzlerkandidat seinen ersten großen Auftritt haben soll.

Ein Rückzieher von Scholz galt lange Zeit als undenkbar. In einem am Freitag veröffentlichten Interview der «Süddeutschen Zeitung» öffnete er die Tür aber zumindest einen Spalt. Auf die Frage, ob er sich unter bestimmten Umständen vorstellen könnte, die Kandidatur zu überdenken, antwortete er ausweichend. «Na ja, die Umstände der nächsten Wahl sind doch ziemlich klar», sagte er. Auf die Nachfrage, wie es bei einer Verschlechterung der Umfragewerte wäre, fügte er hinzu: «Die Zuverlässigkeit solcher Umfragen ist überschaubar, wie die letzte Bundestagswahl gezeigt hat, auch wenn das manche schnell vergessen haben.»

Umfragen spielen wichtige Rolle

Auch seine Antwort am Sonntag ließ die Klarheit vermissen, mit der er noch im Sommer seinen Anspruch auf die Kandidatur erstmals geltend gemacht hatte. Tatsächlich könnten die Umfragen in den nächsten Tagen noch eine Rolle bei der Entscheidung der K-Frage spielen. In einer am Samstag veröffentlichten Insa-Erhebung im Auftrag der «Bild am Sonntag» gewann die SPD einen Prozentpunkt hinzu – liegt aber mit 16 Prozent immer noch 16 Punkte hinter der Union mit 32 Prozent. In den nächsten Tagen werden weitere Umfrageergebnisse folgen, die die Parteispitze genau registrieren wird.

Ratschlag von Joe Biden in Rio?

In Rio wird Scholz übrigens einen treffen, der ihm vielleicht einen Rat geben kann: der scheidende US-Präsident Joe Biden. Der 81-Jährige hatte nach Zweifeln an seiner Fitness und massivem öffentlichem Druck seine Kandidatur für eine Wiederwahl zugunsten seiner Vizepräsidentin Kamala Harris zurückgezogen. Es half allerdings nichts. Harris verlor gegen den Republikaner Donald Trump, der am 20. Januar wieder ins Weiße Haus einziehen wird.

Quelle: dpa

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