Mit dem Sturz des syrischen Langzeitmachthabers Baschar al-Assad verliert Irans Staatsführung einen zentralen Verbündeten. Wie sich Syrien politisch wandelt, ist noch völlig offen. Die Zukunft der iranischen Regionalpolitik wird sich jedoch grundlegend ändern. Ein Überblick:
Vor wenigen Tagen hatte Irans Außenminister Abbas Araghtschi der syrischen Regierung noch Unterstützung zugesichert. Doch die Blitzoffensive der Rebellen und der überraschende Sturz Assads dürften auch die Führung in Teheran unvorbereitet getroffen haben. Über Nacht verlor Iran seinen einzigen staatlichen Verbündeten in der Region – und vorerst auch den Korridor zum Mittelmeer, der lange als Versorgungsroute für die libanesische Schiitenmiliz Hisbollah diente.
Syriens Regierung gehörte wie mehrere militante Gruppen im Nahen Osten zur sogenannten Widerstandsachse – einem Netzwerk von Verbündeten im Kampf gegen Irans Erzfeind Israel. Über Jahrzehnte hatte die iranische Führung das Netzwerk mit ihren Revolutionsgarden, der Elitestreitmacht des Landes, aufgebaut. Nun bleibt lediglich die Huthi-Miliz im Jemen, die jedoch geografisch weit entfernt operiert und daher nur begrenzt in das strategische Netzwerk eingebunden ist.
Mit Assads Sturz schwindet Irans Macht in der Region. «Ohne den direkten Zugriff auf Syrien ist der Einfluss des Iran im Libanon dramatisch eingebrochen», sagte der Politologe Thomas Jäger der «Kölnischen Rundschau». Es finde eine «völlige Neuordnung des Machtgleichgewichts im Nahen und Mittleren Osten statt». Hamidreza Azizi, Gastwissenschaftler der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), schrieb auf der Plattform X: «Dies ist das Ende der Widerstandsachse, zumindest in dem Sinne, wie wir sie kannten.»
Die empfindlichen Rückschläge, die Iran und seine Verbündeten in den vergangenen Monaten hinnehmen mussten, haben im Land die Debatte über militärische Abschreckung neu entfacht. Immer lauter fordern inzwischen Politiker aus den hinteren Reihen die Entwicklung von Atomwaffen. Erst am Sonntag erklärte Ahmad Naderi, ein Parlamentsabgeordneter aus Teheran, es sei nun an der Zeit, einen Atomwaffentest durchzuführen.
Offiziell strebt die Islamische Republik nicht nach der Bombe. Regierungsvertreter berufen sich dabei auch auf ein religiöses Gebot von Staatsoberhaupt Ajatollah Ali Chamenei, der Massenvernichtungswaffen gemäß islamischer Lehre ablehnt. Experten argumentierten in der Vergangenheit, dass der Iran so lange andere Abschreckungsstrategien verfolgen werde, wie der 85-Jährige an der Macht ist.
Im Streit über die strengen Sanktionen im Zusammenhang mit seinem umstrittenen Atomprogramm hat der Iran in den vergangenen Jahren die Urananreicherung deutlich ausgeweitet. Die Verhandlungen über eine Wiederbelebung des Wiener Atomabkommen zur Begrenzung des Programms liegen seit Anfang 2022 weitgehend auf Eis, nicht zuletzt wegen der seither stark belasteten Beziehungen zum Westen. Auch Experten glauben, dass Teheran nun nach der Bombe greifen könnte. «Der Bau einer Bombe ist eine Option, aber nicht die einzige. Die Drohung, eine Bombe zu bauen, ist eine Möglichkeit, einen Deal zu bekommen», schreibt der Analyst Gregory Brew von der Eurasia Group.
Viele Beobachter in Israel sehen den überraschenden und beispiellosen Terrorangriff der islamistischen Hamas im Gazastreifen auf das israelische Grenzgebiet am 7. Oktober 2023 als Auslöser einer Kettenreaktion, die letztlich dramatische Umwälzungen im gesamten Nahen Osten ausgelöst hat. Hamas-Chef Jihia al-Sinwar hatte gehofft, mit dem «Startschuss» die gesamte iranische Achse im Kampf gegen Israel einen zu können. Die anderen Mitglieder der iranischen Achse im Libanon, in Syrien, im Irak und im Jemen schlossen sich der Hamas damals auch rasch an und griffen Teherans Erzfeind Israel immer wieder massiv an.
Letztlich erreichte Sinwar jedoch genau das Gegenteil von dem, was er sich erhofft hatte. Israel schlug hart zurück, teilweise mit Hilfe des US-Verbündeten. Die Tötung ranghoher Anführer der Hisbollah sowie der iranischen Al-Kuds-Brigaden im Libanon und in Syrien habe «die Fähigkeit der iranischen Widerstandsachse, der syrischen Armee zu helfen, dramatisch verringert», schrieb der israelische Analyst Danny Citrinowicz von der Denkfabrik Institut für Nationale Sicherheitspolitik in Tel Aviv. Dies habe letztlich vermutlich «das Schicksal des Assad-Regimes besiegelt».
Indirekt habe Sinwar «der Achse eigenhändig den schwersten Schaden in ihrer Geschichte zugefügt», schrieb ein Kommentator der israelischen Zeitung «Jediot Achronot». Der Iran, dessen Luftabwehr bei der jüngsten israelischen Attacke auf das Land schwer beschädigt worden war, müsse nun einen israelischen Angriff auf seine Atomanlagen befürchten.
Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sprach von einem «historischen Tag in der Geschichte des Nahen Ostens», nachdem die Rebellen Damaskus erobert hatten. Assads Sturz sei ein «direktes Ergebnis der Schläge, die wir dem Iran und der Hisbollah versetzt haben», erklärte er.
Nach außen reagierte Irans Regierung zurückhaltend. Doch Insider sprechen bereits von einem politischen Beben. Netanjahu sei der große Gewinner der Ereignisse, sagt ein Experte in der Hauptstadt Teheran. «Syrien war ein Beispiel politischer Fehlkalkulationen und unüberlegter Bündnisse», erklärt der Insider, der mit dem Denken der Regierung vertraut ist. Milliardenschwere Investitionen habe der Iran in Syrien geleistet, Hunderte Soldaten seien dort gefallen.
Ein iranischer Professor, der anonym bleiben wollte, sagte, Irans Regierung habe auf einen schwachen Verbündeten in Damaskus gesetzt. Der Umsturz habe offenbart, wie «künstlich und fragil» die Strukturen waren.
Quelle: dpa